Im Zweifel für die Schönheit
Bergführer Hans begrüßt uns mit einem strahlenden Lächeln an der Seilbahn. Wir sind eine 10-köpfige, 20-füßige Truppe plus 8 Wanderstöcke und steigen in die Kabine – denn es geht los
Richtung Gitschberg.
Ich fahre mit einer holländischen Familie. Es wird gekichert und aus dem Kabinenfenster geguckt. Die Wolkenwelt liegt unter uns. Ein haselnussbraunes Eichhörnchen glaubt sich unbeobachtet und huscht zwischen die Bäume. Das Surren der Seilbahn taktet das Gemüt und die Mittelstation wird gleich ignoriert. Wir wollen hoch hinaus! Wir wollen die Wolken von oben sehen. Der schöne Gipfel ruft!
Auf Trampelpfaden die Zeit liegen lassen
Bei der Gitschberghütte abbiegend, plaudere ich mit zwei Herren aus Schleswig-Holstein über die Blumen am Wegesrand und über die Wege zwischen den Blütenfeldern. Glockenblümchen, Bergmargheritchen – das „chen“ wird zum Blumenzusatz, aber nur bis blauer Enzian, sonnengelbe Arnika, rote Erika und Alpenrosen auftauchen. Das meiste kann man essen, meint eine Dame. Sie habe erst gestern die Kräuterwanderung gemacht. Während ich noch kichernd über die Variationen des Almensalats nachdenke, kommen wir an einigen kauenden Kühen vorbei, denn unterm Gitschberggipfel sind wir links abgebogen und stapfen durch eine Bergwiese auf eine erste Anhöhe zu. Der eine Herr aus Schleswig-Holstein versorgt unsere Truppe mit Daten aus aller Welt. Trampeltiere in politischen Führungspositionen. Unsere Startzeit. Die geplante Gehzeit. Voraussichtliche Ankunftszeit. Ansonsten klingelt hier und da eine Kuhglocke, ein Fahrradfahrer keucht vorbei, die Wolken lassen die Sonne immer wieder durch und drängen sie genauso schnell, fast neckend, wieder in den Hintergrund. Der Pfad schlängelt sich immer weiter in die Höhe. Die Wege werden felsiger, die blauen Enzianschwaden üppiger, die Wanderer stiller.
Über Stein ohne Stock
Nun sind wir auf 2400 Metern über dem Meer angekommen und hier gesellen sich drei-vier Tropfen von oben zu uns. Es ist steil und abschüssig - glaube ich. Wir sehen wegen der Wolken nicht ganz nach unten und so verkehrt finde ich das auch nicht. Denn trittsicher bin ich, aber die Angst vor der Höhe ist seit Jahren mein Kompagnon. Also bin ich froh, mit dem Blick auf dem Steig zu bleiben und wir, eine Karawane der Gämsen, steigen auf fast gleichbleibender Höhe zwischen Felsen und Geröll südwestlich unterhalb vom Fallmetzer herum. Immer wieder nehme ich die Stöcke des Herren aus Schleswig-Holstein, denn wir haben einen Altersunterschied von 50 Jahren. Das merkt er in den Knien und ich sorge mich weniger um ihn, wenn er beide Hände zur Verfügung hat. Es regnet hie und da. Dann trocknen wir wieder dampfend. Wir reichen einander die Hände. Das Ganze beginnt wirklich abenteuerlich zu werden.
Rauschen und ein Wassersturz
Gerade als er schon keine Rolle mehr spielt, weil der Weg wichtiger als das Ziel ist, taucht der
Seefeldsee zwischen den Steinmassiven auf und der Himmel öffnet sich feierlich dazu. Ich höre ein Rauschen und dann Tropfenklopfen auf der Wasseroberfläche. Wir schießen noch einige Fotos vor geneigten Schieferplatten, beschließen einstimmig, nicht zu den nächsten kleineren Seefeldseen zu gehen und begleitet vom Donnergrollen umrunden wir den See. Jemand tippt noch hinein. Das Wasser wäre gar nicht so kalt. Der Regen ist es eigentlich auch nicht, denke ich da noch.
Auf zwei Rädern zurück
Kaum sind wir über dem Kamm und schauen ins Tal, hört der Regen auf. Die Kleider trocknen, die Haare kräuseln sich, die Scherzereien kommen zurück. Wir sehen das
Altfasstal von oben und können gar nicht fassen, wie weit wir gegangen sind, wie steil die Wände ringsum eigentlich sind und wie schön sich das Altfasstal unter uns ausbreitet. Unten wartet die Welt der Pranter-Stadel-Hütte und die Fahrräder auf uns und wir stapfen die Serpentinen nach unten.
Nach einer kurzen Pause bei der
Pranter-Stadel-Hütte düsen wir mit angezogenen Bremsen zurück Richtung
Meransen. Nicht unkommentiert, denn während wir über den Schotter fahren kommt uns schon ein gutgelaunter Wandersmann durch das Altfasstal entgegen und ruft uns hinterher „Lossts lai gien die Goass!“ Auf deutsch: „Lasst die Geiß laufen!“ also: „Nicht zu viel bremsen, es geht nur nach unten.“ Wie ein Teenie rast der Herr aus Schleswig-Holstein daraufhin an mir vorbei. Ja, wir sind eben Gämsen in getrockneten Kleidern und mit wehenden Haaren! Jetzt halt auf Rädern.